Seit etwa So den 15.1. ist es auf dem Zijingang-Campus ziemlich einsam. Die allermeisten Studenten sind nun in den Semesterferien und für das chinesische Neujahrsfest/Frühlingsfest nach Hause gefahren. Das Neujahrsfest ist in der Nacht vom 22.1. auf den 23.1., also nächste Nacht. Das genaue Datum des Fests ist von einem Mondkalender abhängig und damit etwas variabel. Die Feierlichkeiten gehen zwei Wochen lang bis zum Laternenfest am 6.2. Es ist das größte jährliche Fest in China und in seiner Bedeutung mit dem christlichen Weihnachten vergleichbar.
Das Jahr des Hasen geht zu Ende und 2012 ist das Jahr des (Wasser-)Drachens. In Jahren des Drachens soll es grundsätzliche Änderungen geben. Kinder, die in Drachen-Jahren geboren wurden, gelten als besonders beliebt bei (darauf achtenden) Eltern. So gab es zumindest in Taiwan und Hongkong mehr Geburten in den letzten Drachen-Jahren (Knicke nach oben in der dort ansonsten fallenden Geburtenrate). Das Gegenteil davon sind Tiger-Kinder (zu denen ich leider gehöre). Sie gelten als Autoritäts-anzweifelnd und verursachen dadurch Ärger für sich und ihre Familie. In Taiwan zumindest wurden in den letzten Tiger-Jahren weniger Kinder als sonst geboren. Übrigens gibt es in der PRC auch besonders viele Geburten im Herbst, also 9 Monate nach dem Frühlingsfest.
Übrigens gibt das Jahreszeichen nach der chinesischen Astrologie aber nur Aufschluss darüber, wie man von anderen gesehen wird. Aufschluss darüber, wie man wirklich ist, gibt das Tageszeichen. Es gibt insgesamt 4 Tierzeichen, die einer Person zugeordnet worden (nach Jahr, Monat, Tag und Stunde).
Heute Abend gibt es schon mehr Feuerwerk als sonst. Morgen wird dann wohl die Hölle los sein. In meinem Wohngebiet wurden nun auch rote Lampions aufgehängt (die es hier aber auch sonst oft gibt). Ich werde nachmittags mit anderen da gebliebenen Studenten (und darunter natürlich besonders vielen Ausländern) in der Mensa essen.
Viele kleine Läden in Hangzhou sind nun auch geschlossen. Und die Ess-Straße gleich neben dem Campus ist auch wie ausgestorben. Die meisten Wanderarbeiter, die dort arbeiten, sind nun auch in ihre Heimat heimgefahren. Nach dem, was ich mir bis jetzt zusammengereimt habe (was vielleicht auch nicht richtig ist), leben im offiziellen Verwaltungsgebiet der Stadt Hangzhou ungefähr 7 Millionen Menschen. Dieses Gebiet schließt aber auch ländliche Gebiete und andere Städte mit ein. In der Stadt Hangzhou selbst sind wohl 1,9 Millionen Menschen registriert. Dazu kommen in der Stadt etwa mindestens 1 Million Wanderarbeiter, die hier nicht registriert sind und wegen besseren Arbeitsbedingungen aus anderen Gebieten Chinas hierherkommen und von denen die allermeisten nun zu Hause zu ihren Familien gefahren sein müssten.
Und da sind wir auch beim Thema Chunyun (übersetzt ca.: Frühlings-Bewegung). So nennt man das stark gesteigerte Verkehrsaufkommen rund um das Frühlingsfest. Es ist aufgrund der vielen Wanderarbeiter (130 Millionen in China o.ä.; vor allem im Perlfluss-Delta im Südosten und im Jangtse-Delta hier im Osten, dazu Peking etc.), Studenten, den Familienbesuchen und Reisen i.A. die größte jährliche menschliche Wanderungsbewegung der Welt. Dieses Jahr (nachdem es für das Frühlingsfest 2011 bereits in Guangzhou getestet wurde) wurde eingeführt, dass der Name eines Passagiers auf einem Zugticket stehen muss (offiziell, damit verhindert wird, dass man die Tickets weiterverkauft; und evtl. nur für Schnellzüge, da bin ich mir gerade nicht sicher) und dazu die Möglichkeit, Zugtickets im Internet zu kaufen, um die chaotischen Warteschlangen an den Ticketschaltern zu verbessern, was wohl auch geklappt hat.
Am Abend des 24.1. werde ich mich in das Getümmel stürzen und nach Yueyang (Provinz Hunan, Zentralchina) fahren, um einen Freund zu besuchen. Dann ins relativ nahe gelegene Wuhan (Hubei). Und dann evtl. noch ein paar Tage woandershin in den Süden. Am 10.2. wird dann das Frühlingssemester wieder beginnen.
Gestern war ich außerdem mit einer anderen aus dem China Studies-Programm bei einem Meeting mit dem Präsidenten der Zhejiang-Universität Yang Wei. Dort waren etwa 25 Studenten, die überproportional oft aus entlegenen Gebieten kamen, wie Xinjiang und Gansu. (Viele tibetische Studenten bleiben wohl auch hier, da es nach Tibet von hier aus einfach sehr weit ist) Bei dem Meeting haben wir uns vorgestellt und man konnte Probleme in der Universität ansprechen. Wir haben nicht viel verstanden, da es auf Chinesisch war. Chinesischen Minderheiten wie Uiguren etc. soll geholfen werden, einen Job zu finden, da sie offenbar öfters diskriminiert werden. Dann gab es irgendein Problem mit Fahrrädern. Und evtl. wird hier demnächst mehr in Englisch übersetzt, wie die Bibliothekswebsite und Uni-Shuttlebus-Fahrpläne. Dann wünschte er uns ein gutes neues Jahr und wir haben Essen bekommen. Und fotografiert wurden wir auch öfters, aber das sind wir ja schon eh gewohnt.
Noch ein paar Anmerkungen zum Hukou-System (es trifft sich gut, da ich gerade vorgestern endlich eine Arbeit darüber fertiggestellt habe; Berichtigungen immer gerne gesehen): Das Hukou-System ist das Haushalts-Registrierungssystem der Volksrepublik China. Es wurde 1958 eingeführt. Zwei grundsätzliche Informationen sind Teil eines individuellen Hukous: man hat einen landwirtschaftlichen oder einen nicht-landwirtschaftlichen (also städtischen) Hukou, und den Wohnort. Daraus ergibt sich, welche sozialen Leistungen man bekommt und wo man sie bekommt. Es gibt z.B. auch Leute mit landwirtschaftlichem Hukou in Städten, normalerweise eher in den Randbezirken.
Grundsätzlich bekommen Leute mit städtischem Hukou mehr soziale Leistungen als Leute mit nicht-städtischem Hukou (z.B. bessere Schulen, bessere Grundversorgung, soziale Wohnungen …; allerdings haben Leute vom Land auch ein paar spezielle Rechte wie, dass sie ein zweites Kind haben können, wenn ihr erstes Kind eine Tochter war). Darum sind solche städtische Hukous sehr begehrt. Ursprünglich entschied die Zentralregierung über solche Hukou-Transfers. Sie geschahen bis zum Anfang der Reform-Ära 1978 nur in Ausnahmefällen wie wenn man sein Land abgeben musste oder wenn man besondere Leistungen für das Land erbracht hat, z.B. Darum blieb die Urbanisierungsrate Chinas in dieser Zeit ziemlich konstant (sehr anomal im weltweiten Vergleich) bei 18%. Seit der Reformära wurde die Druchsetzung des Hukou-Systems weniger strikt in dem Sinn, dass man nun auch (wenngleich eher in einer legalen Grauzone) an anderen Orten leben kann als dem, der in einem Hukou angegeben ist (auch, weil die sich industrialisierenden Küsten-Provinzen, die besonders von ausländischen Investitionen profitiert haben, mehr Arbeitskräfte brauchen).
Die Urbanisierungsrate steigt seitdem, besonders stark nochmal seit 1995. 2011 lebten erstmals mehr als 50% der Chinesen in Städten. Mehr Informationen in diesem Spiegel-Artikel:
http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/0,1518,809972,00.html
Von diesen 50% haben aber wohl nur etwa zwei Drittel wirklich einen nicht-landwirtschaftlichen Hukou. Weltweit lebten übrigens 2008 erstmals 50% der Menschheit in Städten (wobei solche Stadt-Definitionen sicher schwierig und umstritten sind).
Es gibt den Trend der Dezentralisierung der Entscheidung über Hukou-Transfers. Städte können zunehmend entscheiden, wen sie aufnehmen wollen und wen nicht. Für Geld (also Investitionen in die Stadt) kann man sich solche Hukous kaufen. Absolventen von guten Universitäten haben es auch einfach, z.B. Für die normale Landbevölkerung bleibt so ein Transfer aber sehr schwer.
Es gibt lokale Reformen, das Hukou-System betreffend. Damit könnte mehr soziale Gerechtigkeit erreicht werden. Ein Negativ-Beispiel ist allerdings Zhengzhou (Henan). Hier wurden die Eintrittsbedingungen 2001 und 2003 erleichtert. Allerdings wurden Befürchtungen wahr und soziale Ausgaben schossen so sehr in die Höhe (neben anscheinend einem Anstieg der Kriminalität), sodass die Erleichterungen 2004 wieder zurückgenommen wurden.
In Chongqing etwa gibt es auch eine Reform seit Juli 2010. Hier kann man nach ein paar Jahren Arbeitserfahrung oder hohen Steuerabgaben einen städtischen Hukou bekommen. Das relativ nahe Chengdu (Sichuan) hat eine ähnliche Reform am Laufen.
Es gibt viele Reformen. Es bleibt abzuwarten, wie relevant diese für die normale Landbevölkerung sein werden.