Das ist nun ein etwas längerer Eintrag …
1. Yueyang
In den Semesterferien bin ich zuerst nach Yueyang in Nord-Hunan gefahren, um einen Freund zu besuchen, den ich vor zwei Jahren in Xian kennenlernte und der mich anlässlich des chin. Neujahrsfests zu sich und seiner Familie einlud. Ich wurde sehr nett aufgenommen. Seine Eltern schenkten mir z.B. erst einmal eine Zigarettenschachtel, die, wie sich später herausstellte, ziemlich teuer war (etwa 15 €) und als Statussymbol gilt, was natürlich nicht nötig gewesen wäre. Ich durfte auch bei dem Klassentreffen seines Vaters dabei sein an dem vorläufig größten runden Tisch, an dem ich jemals saß, mit 20 Leuten und sich automatisch drehender Mittelscheibe, auf dem die Gerichte stehen.
Diese Klasse nahm am ersten Gaokao („Hohe Prüfung“, die zentrale Universitäts-Zulassungsprüfung) nach der Kulturrevolution 1977 teil, wodurch sie es aufgrund der besonders vielen Prüflinge besonders schwer hatte. Die Schüler in China werden heute jahrelang für diese eine gefürchtete Prüfung getrimmt, denn sie entscheidet auch darüber, auf was für eine gute Universität man gehen kann. Ein chin. Student aus der Provinz Henan (mit einer Bevölkerung von 94 Millionen, mehr als in Deutschland) erzählte mir, dass jedes Jahr etwa 1.000.000 Schüler in Henan den Gaokao machen. Von diesen können etwa 40.000 (4%) zu den erstklassigen Universitäten gehen (es gibt 3 Klassen), zu denen die Zhejiang-Universität gehört und zu der jedes Jahr 3-4.000 Schüler aus Henan gehen (ich habe es aber wohl falsch im Kopf, denn 300-400 passen besser). Mit dieser Prüfung ist also sehr viel Druck verbunden. Es ist in der Schule z.B. auch üblich, eine Rangliste der Schüler mit ihren Noten zu erstellen und diese öffentlich auszuhängen.
Yueyang ist an dem Ort, an dem der Dongting-See in den Jangtse „mündet“. Der Dongting-See ist einer der größten Seen Chinas und Namensgeber der Provinzen Hunan (Südlich des Sees) and Hubei (Nördlich des Sees). Aufgrund der militärischen Bedeutung dieses Orts gibt es den Yueyang-Turm. Er ist heute natürlich eine moderne Nachbaut und die Geschichte dahinter ist wohl interessanter als das Gebäude selbst. Ein berühmter Spruch aus einem Gedicht zum Turm des Song-Dichters Fan Zhongyan ist etwa: „Sich die Sorgen der Welt als Erster zu eigen machen - ihre Freuden als Letzter genießen!“
Dann fuhren wir nach Huarong, eine „kleine“ Stadt im Verwaltungsgebiet von Yueyang. Sie kam mir dennoch größer vor als Heidelberg. Hier leben nach Wikipedia-Informationen etwa 2-3 Ausländer (die bekannte Spezies der Englisch-Lehrer) und das glaube ich sofort. Es war auch der „chinesischste“ Ort, den ich bis jetzt gesehen habe. Es gibt keinen echten Grund, dorthin zu fahren, außer man kennt dort Leute. An vielen Mauern/Wänden waren Handynummern von Handwerkern o.ä. zu sehen, was eigentlich verboten ist, aber trotzdem jeder macht. Huarong hat sich in den letzten Jahren stark verändert, Yueyang noch mehr. Auch hier gibt es viele Baustellen und viel mehr Autos als früher – und weniger Fahrradfahrer, auch da es zu gefährlich geworden ist.
Ich war bei zahlreichen Essen mit der Familie dabei, es war sehr nett. Hier in Zentral-/Zentralsüdchina isst man schärfer als bei mir im Jangtse-Delta, das gefällt mir. Es gibt z.B. leckeren „scharfen Rettich“, den man überall dazu essen kann, Fisch aus dem Dongting-See usw., es gab Baijiu (das 50-60%-Teufelszeug, das ich aber auch gern hab) … Am Abend haben wir Jüngeren herumgeböllert, die Älteren haben Karten gespielt … Da es hier keine echten Heizungen gibt, ist es üblich, die Füße auf einen niedrigen Tisch mit Holzgitter zu legen, unter dem eine kleine elektrische Heizung ist, und eine Decke über die Beine zu legen. Außer beim Schlafen hab ich fast immer meine Jacke angehabt.
2. Wuhan
Dann fuhr ich nach Wuhan, die Hauptstadt Hubeis nicht weit im Norden von Yueyang. Ich nahm den Hochgeschwindigkeitszug, einen Teil der Strecke Wuhan-Guangzhou, die im Dezember 2009 in Betrieb genommen wurde. Die Geschwindigkeit ist bis zu 350 km/h und China scheint für sich damit in Anspruch zu nehmen, den schnellsten Zug der Welt zu besitzen. Eine Schnellzug-Verlängerung Wuhan-Beijing soll 2012 folgen.

Der ebenfalls im Dezember 2009 eröffnete Wuhan-Bahnhof. Er ist neben Wuchang, Hankou und Hanyang nun der vierte große Bahnhof Wuhans
Inmitten der grauen, großen, lauten (ich mag sie trotzdem, z.B. wegen reganmian = heiße trockene Nudeln, die man zum Frühstück heißt, auch gerne scharf) Stadt Wuhan steht ihr Wahrzeichen, der berühmte Gelber-Kranich-Turm (natürlich wieder aufgebaut in den 1980ern), ähnlich dem Yueyang-Turm, nur größer.
Wuhans erste Brücke über den Jangtse in der Geschichte wurde 1957 gebaut; sie war bis 1995 die einzige. Seit 2008 besitzt Wuhan auch einen Tunnel unter dem Jangtse. Der Brücke (wie vielen anderem auch) widmete Mao Zedong auch ein Gedicht, das Schüler zumindest in Wuhan in der Schule lernen. Damit wurde eine direkte Eisenbahnfahrt von Guangzhou nach Beijing möglich. Der Name Wuhan wird übrigens erst seit 1927 verwendet. Die Stadt bestand ursprünglich aus den drei Städten Wuchang (östlich des Jangtses), Hankou (nördlich der Mündung des Han-Flusses in den Jangtse) und Hanyang (südlich der Mündung des Han-Flusses in den Jangtse). Um diese Zeit war Wuhan auch ungefähr für ein Jahr die Hauptstadt der Republik China (davor Guangzhou, danach Nanjing).

Erste Brücke

Daraus wurde vor etwa 2500 Jahren Wein getrunken

Und mit diesem Glockenspiel wurde Musik gemacht

Ein taoistischer Tempel

In der Innenstadt

Stadtszene
Wuhan ist außerdem für den Wuchang-Aufstand 1911 bekannt, der die Revolution auslöste und die Jahrtausende alte Tradition des Kaiserreichs wegblies.

Statue von Sun Yat-sen am Ausbruchsort der Revolution
Dann fuhr ich noch ins nah gelegene Chibi. Hier gab es am Ende der Han-Dynastie im Winter 208/9 eine Schlacht zwischen Cao Cao auf der einen Seite und Liu Bei und Sun Quan auf der anderen Seite. Am Ende der Han-Dynastie war die Zentralgewalt machtlos. Cao Cao hatte Nordchina mit der wichtigen Zentralchinesischen Ebene, dem eigentlichen Ursprungsort der chinesischen Zivilisation (in Henan und teils Hebei, Shanxi, Shandong), unter seine Kontrolle gebracht und wollte auch die Gebiete der anderen Warlords dieser Zeit in sein Reich einverleiben. Davor müsste er natürlich den Jangtse nach Süden hin überqueren und es kam zu einer Fluss-Schlacht (hauptsächlich). Er gilt in der Literatur als verschlagen und ihm wird etwa im berühmten Roman „Die Geschichte der Drei Reiche“ der Spruch zugesagt: „Ich möchte lieber andere betrügen, als dass andere mich betrügen.“ Doch er scheiterte und die drei Warlords gründeten drei Dynastien: Wei in Nordchina (von Cao Cao, Hauptstadt Luoyang), Shu [Han] in Südwestchina (von Liu Bei, Hauptstadt Chengdu) und [Sun] Wu in Südostchina (von Sun Quan). Die Zeit der drei Reiche begann.

Ich mit den Chibi-Schriftzeichen

Aufgebaute Burg für Chibi. Übrigens sind hier gemäß einer Ortskundigen nur die 2 Chibi-Schriftzeichen und ein paar Bäume wirklich alt – der Rest natürlich extrem neu. Vor 2 Jahren kostete der Eintritt zu dem Gelände noch 20 Yuan, im letzten Mai 60 Yuan und ich zahlte schon 150 Yuan. Zwei Tage vor mir wäre der Eintritt aufgrund des Geburtstags irgendeiner Gottheit (ich habe es nicht so genau verstanden) kostenlos gewesen

Chibi Kampf

Chibi Grill
Übrigens ist der genaue Ort der Schlacht von Chibi umstritten. Ich war beim sog. „militärischen Chibi“, bei dem die Schriftzeichen sind, deren Authentizität allerdings auch angezweifelt wird. Dann gibt es noch das „kulturelle Chibi“, über das der Song-Dichter Su Dongpo einmal dichtete, und noch weitere Orte … Das sog. „militärische Chibi“ hieß bis 1998 Puqi und benannte sich dann in „Chibi-Stadt“ um, um seinen historischen Anspruch zu unterstreichen (und vermutlich um Geld etc. zu verdienen). Außerdem befinden sich die Schriftzeichen in der Chibi-Gemeinde, die von Chibi-Stadt verwaltet wird, aber eben nicht genau in der Stadt ist. Hätte ich nicht jemanden getroffen, der vorher dort war, hätte ich den Weg wohl nicht gefunden …
3. Nanjing
Dann ging es nach Nanjing am Unterlauf des Jangtse, nicht allzu weit von Shanghai und Hangzhou. Ein Argument unter anderen dafür war, dass für das Laternenfest am 6.2. (und die Tage davor) einiges geboten war:

Drachen in Innenstadt

Nanjing Fest 1

Nanjing Fest 2

Polizeiaufgebot
Im Winter 1937/38 verübten die Japaner hier das sog. Nanjing-Massaker, bei dem eventuell 300.000 Chinesen starben und mindestens 20.000 Frauen zwischen 11 und 76 Jahren vergewaltigt wurden und das zu den größten Verbrechen in der Menschheitsgeschichte gehört. Nanjing war damals die Hauptstadt der Republik China (danach wurde sie ins ferne Chongqing in Westchina verlegt). Die Japaner schienen das nach dem Motto gemacht zu haben: „Wagt es nicht, uns anzugreifen, denn seht, zu was wir in der Lage sind.“ Die Japaner wollten tatsächlich auch nur den Ostteil Chinas und nicht ganz China erobern bzw. unter ihren Einfluss bringen. Die Nachrichten über das Massaker befeuerten aber natürlich den Hass der Chinesen auf die Japaner. 1945 wurden sie bekanntlich vertrieben.
Einige Chinesen wurden von dem Deutschen John Rabe („Schindler des Ostens“) und anderen Ausländern gerettet, die eine internationale Schutzzone errichteten.
In Nanjing gibt es am Purpur-Gold-Berg außerdem das Mausoleum von Sun Yat-sen, dem zentralen Kopf der Revolution von 1911. Und zudem das Grab von Zhu Yuanzhang, der die Chinesen von der Mongolenherrschaft befreite und 1368 die Ming-Dynastie gründete (Regierungsname Hongwu, posthumer Name Taizu). Er war ursprünglich ein einfacher Bauerssohn (und außerdem für seine Hässlichkeit bekannt).
Das war es, ich hoffe, ihr fandet es interessant.
da hst du einen wunderbaren und interessanten text verfasst mit den passenden bildern - und endlich chibi.
schöne grüsse
vom grünen drachen
Sehr cool dass du soviel rumkommst, und auch abseits der Massen. Weiter so! ;)
Ahja, weißt du schon wann du wieder da bist? Ich bin ab 4. Juni wieder in München, für 1-4 Wochen (hab mich noch nicht entschieden wanns weitergeht).